Hausbesuch bei Raja Schwahn-Reichmann, Malerin, Zeichnerin und passionierte Sammlerin historischer Trachten und Kostüme.
Kurier vom 9. Mai 2021, von Barbara Mader, Jeff Mangione
Gute Nacht, mein liebes Kramuri, ich hab zu viel von euch, aber nicht genug.
Raja Schwahn-Reichmann schwebt durch Schrankraum und Küche, „Mein Opiumkabinett“. Kleider, Schuhe, Schmuck und andere Preziosen aus Böhmen, Mähren, Ungarn, Georgien, Rumänien. Aus allen Epochen.
Weltreise und Zeitreise. Der zärtliche Kramuri-Satz ist ein Zitat der verstorbenen Dichterin Elfriede Gerstl, gute Freundin und ebenfalls leidenschaftliche Sammlerin, die der Malerin Raja viele Schätze vererbte. Und Raja kann keinesfalls Nein sagen. „Man ist ja auch Asyl. Man muss Dinge retten, es geht nicht darum, ob man noch Platz hat.“
Die Wohnung, ein Korallenriff an Objekten. Raja Schwahn-Reichmann, Malerin, Zeichnerin und Bildhauerin, ist passionierte Sammlerin historischer Trachten und Kostüme. Und Asylgeberin für alles Mögliche, das andere nicht zu schätzen wissen. „Nehmen Sie zum Beispiel diese alte Schachtel. Ein wenig bekanntes Altmann & Kühne-Muster. Wenn ich sie nicht genommen hätte, hätte sie den Tag am Flohmarkt wohl nicht überlebt. Man muss diese Dinge einfach retten. Oder die Schuhe aus den 40er Jahren, die hab ich vom Pfarrflohmarkt. Wenn ich sowas sehe, weiß ich genau, das erkennt außer mir keiner. Wenn ich das nicht rette, wird es verkommen.“
Mährische Ziegenlederstiefel, rumänische Trachten, mit winzigen schwarzen Perlen bestickte Abendschuhe mit passendem Kleid. Einmal kam aus einem Nachlass eine Flut von Abendkleidern. „Die hab ich natürlich alle nehmen müssen. Roben von den 30ern bis in die 50er Jahre. Wunderschöne Morgenmäntel. Herrliche Stoffe. Alles auf einen Schwung. Dafür habe ich eine Wand geopfert. Ich habe ja glücklicherweise auch ein Lager.“ Manchmal wird das alles benützt, mit Leben erfüllt. „Ich habe schon Gesellschaften und Bälle damit ausgestattet.“
„Ich nenne meinen Schrankraum meine schreckliche Kleiderkammer. Darin befindet sich auch eine 70er Jahre Abteilung. Und vieles von Susanne Bisovsky. Mit Freunden stelle ich oft einiges aus dieser Schlucht heraus zusammen.“
„Mein Ideal war eine leere Wohnung. Klassisch. Ich dachte, das lässt sich alles domestizieren. Bücher bekommen eine Wand, aber darüber hinaus nichts. Dann fängt halt alles an zu wachsen. Irgendwann kann man sich den Dingen nicht mehr widersetzen. Meine Wohnung ist wie ein Korallenriff an Objekten. Sie wächst zu. Ich mag das. Und man braucht das Zeug ja auch. Ich brauche die Sichtachsen zu Dingen, die mir wichtig sind. Ich liebe orthodoxe Kirchen, weil sie sich zu Fülle und Vielfalt bekennen. Ich werfe der Moderne ihren Minimalismus vor. Er ist in meinen Augen ein Bilderverbot. Alte Kulturen sind durchlässiger, lassen Farb- und Formenspiele zu. Ich habe Sehsucht nach dem Osten. Da kann ich reinkippen.
Auch die Dichterin Elfriede Gerstl lebte mit ihrer Kleidersammlung, die ihre Texte sehr beeinflusste. Vieles gab sie weiter an Freundinnen. „Sie hat in mir ein williges Opfer gefunden. Damit was weitergeht, hat sie geschrieben. Der Zwiebelduft hängt in der Kleiderkammer, in der Denkerstube paaren sich die Stöckelschuhe. Typisch Elfriede. Sie hat wie ich in einem Verhängnis gelebt. In einer winzigen Wohnung, aber sie ist dazu gestanden und hat das auch inszeniert.“
„Mein Vater war Architekt, er lebte den cleanen 50er Jahre-Stil. Ich bin nicht mit Kitsch ausgewachsen. Ich hatte immer Sehnsucht nach Fülle.“
„Meine Küche ist mein Opiumkabinett. Hier habe mich meine Porzellansammlungen. Ketten aus alten Serviettenringen. Ungarische Volkskunst oder alpiner Andenkenkitsch. So stapelt sich’s halt. Man kann auch auf sehr wenigen Quadratmetern Gulasch für 40 Leute machen. Deshalb ist hier alles auch ein bisschen prekär gestapelt.“
„Der Schmuck ist geparkt auf meiner unheimlichen Wand. Glitzer aus jeder Epoche. Dazwischen Gedichte von Elfriede Gerstl. Bröschchen drauf und geht schon.“
„Wenn es mir hier zu viel ist, dann büchse ich aus.“